ANMERKUNGEN

ERSTES BUCH

Kap. I. Das Bild von den Weltreichen geht zurück auf Daniel (2, 3 I Ir.), wo Daniel Belsazars Traum so deutet: "Du König sahest und siehe, ein groß und hoch und sehr glänzend Bild stund vor dir, das war schrecklich anzusehen. Desselben Bildes Haupt war von feinem Golde, seine Brust und seine Arme waren von Silber, sein Bauch und Lenden waren von Erz, seine Schenkel waren Eisen, seine Füße waren eines Teils Eisen und eines Teils Ton. Solches sahest du, bis daß ein Stein herabgerissen ward ohne Hände; der schlug das Bild an seine Füße, die Eisen und Ton waren, und zermalmte sie. Da wurden miteinander zermalmet das Eisen, Ton, Erz, Silber und Gold und wurden wie Spreu auf der Sommertenne, und der Wind verwehte sie, daß man sie nirgend mehr finden konnte. Der Stein aber, der das Bild schlug, ward ein großer Berg, daß er die ganze Welt füllete."

Kap.4. "Dichter" steht hier für lateinisch "dictator" - ist ja auch damit verwandt - und bezeichnet den Schriftsteller, den selbständigen Verfasser von Schriftstücken, gleichviel welcher Art sie sind, ob poetische Schöpfungen, Briefe, Urkunden oder Staatsschriften (im Gegensatz zum "Schreiber", der nur Vorlagen kopiert).      
Das lateinische Wort "Cappa " bedeutet, wie noch heute das französische "chape", Priesterrock; geläufige Ableitungen davon sind Kapelle, Kaplan, Kapuze u. a.

Kap. 5. Responsorium, auch Antiphonie, ist der Wechselgesang, der in der Kirche vom Vorsänger des einen Chores angestimmt und von dem andern Chor, oder auch beiden, beantwortet und ge- endigt wird. Das hier genannte lautet vollständig: "Herr, wenn ich für dein Volk noch notwendig bin, so will ich gern die Mühen darum auf mich nehmen. Dein Wille geschehe 1"' Die nächsten Verse haben denselben Schluß.

Kap.9. Grimald war Abt von St. Gallen 841-872. Das Kloster Bobbio am Südrand der Alpen war die letzte Kloster- gründung des Iren Kolumban, des bedeutendsten Frankenmissionars. Er starb dort 615. Die Leute des heiligen Kolumban sind also Hörige des Klosters Bobbio. Ein Schüler Kolumbans und gleichfalls Ire war der heilige Gallus (gestorben um 645), der südlich vom Bodensee ein Kloster gründete, das nach ihm St. Gallen genannt wurde.

Kap. I I. Die siebente Stunde ist 12 Uhr mittags, 6Uhr morgens gilt als erste.          
Das Fastengebot beruht auf 3. Mos. 23, 32: "Es ist euer großer Sabbat, daß ihr eure Leiber kasteiet. Am neunten Tage des Monats zu Abend sollt ihr diesen Sabbat halten, von Abend an bis wieder zu Abend." Von einem Stundenschlag zum nächsten heißt: zum nächsten gleichen, also einmal am Tage.

Kap. 13. Moritz Haupt hat den Spielmannsreim in die damalige Sprache zurückübersetzt (Müllenhoff und Scherer, Denkmäler, Seite 12 und 274):

Nû habêt Uodalrîh firloran êrôno gilîh,

ôstar enti uuestar, sîd irstarp sîn suester.

Kap. 18. Für Scherge steht das althochdeutsche Wort "scario" im lateinischen Text.

Kap.23. In der einen Handschrift steht über dem lateinischen Wort "larva" (Gespenst) das deutsche "scrato" (Schrat).

Kap.25. Verse aus Virgils Aeneis IV, 174. Für Meise steht statt des lateinischen "parus" schon das deutsche "meise".

Kap. 26. Petrus gilt als besonders nachsichtig, Pankratius als besonders streng gegen Meineidige (vgl. Grimm, deutsche Sagen, 4. Aufl., Nr. 454).

Kap. 3 I. Der Vergleich mit Polyphem ist Virgils Aeneis III,6I9 entnommen.

Kap.34. Das Haupt der Franken bezeichnet Ludwig den Deutschen, seine Söhne Karlmann oder Ludwig und Karl.

ZWEITES BUCH

Kap. I. Die erwähnte Vorrede ist leider verloren gegangen. Sie enthielt vielleicht eine besondere Widmung an Karl den Dicken, der in unserm Buch wiederholt angeredet wird (besonders I, 18; II, 9, 10, 16).

  Werinbert, Mönch und Priester von St. Gallen.

   Gerold, ein Bruder der Königin Hildegard, fiel im Awarenkriege 799 und ist in Reichenau begraben.

   Für Hecke steht das althochdeutsche Wort "hegin".

Kap.4. Unter Frauenhaus versteht man das Arbeitshaus der Mägde auf königlichen Gütern.

Kap. 6. Heitto, Bischof von Basel, war 811 aIs Gesandter in Konstantinopel und kam 812 zurück. Karls Söhne waren Karl (gest. 811), Pippin (gest. 810) und Ludwig, der spätere Ludwig der Fromme.

  Griechische Gesandte waren 812 in Aachen.

Kap.8. Zitate aus Virgils Aeneis IV, 6 und 585.

"Graezinger" leitet Müllenhoff vom althochdeutschen "gruzzing" ab, das "Bier" bedeuten soll.

Kap.9. Zitat aus Virgils Eklogen 1,63. Araris ist der lateinische Name für Aare und Saône.

Kap. 10. Hartmut war Abt Von St. Gallen 872-883.

Kap. 11. Daß Ludwig doch einmal Todesurteile fällte, scheint auf die blutige Art hinzudeuten, mit der er 842 den Aufstand der Stellingen, eines sächsischen Bauernbundes, niederschlug.

Kap. 12. Chlotar mißt die Sachsen auch nach dem Schwert (vgl. Grimm, deutsche Sagen, Nr.430).

  Das Kloster Prüm wurde 882 von den Normannen zerstört. Eishere, entstanden aus "egishere", heißt "der Schreckliche". Bei Grimm, deutsche Sagen, Nr. 18, heißt er Einheer, "weil er sich in Kriegen schier einem Heer vergleicht und also viel ausrichtet."

Kap. 13. Godefried wurde 810 von einem Vasallen erschlagen; im Moselgau hat er nie residiert.

Kap. 15. Pippin war nie in Rom.

Kap. 16. In Bedas Kirchengeschichte steht nur wenig über Pippin. Kap. 17. S.89. Furiola ist bekannter unter dem späteren Namen Friaul. Karl war aber nicht dort.

Kap.20. 2. Sam. 16, 23: "Zu der Zeit, wenn Ahitophel einen Rat gab, das war, als wenn man Gott um etwas gefragt hätte."

Kap.21. Apostelgesch.4,24: "Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte."

 


NACHWORT

 

KARLS des Großen und seiner Mitarbeiter Bemühungen hatten in seinem Reich ein literarisches und wissenschaftliches Leben erweckt, das in der Hauptsache am Kaiserhof gepflegt wurde. Schon unter Ludwig dem Frommen gingen diese Interessen und ihre Pflege an die Klöster über, die einstweilen die Mittelpunkte der Bildung blieben. In einem Kloster, in St. Gallen, wurden auch diese Geschichten niedergeschrieben, von einem Mönch, der sich selbst nicht nennt, aber als Notker der Stammler festgestellt wurde, als derselbe Notker, der eine neue Gattung geistlicher Dichtung, die Sequenz, erfand und als deren schönste "Media vita in morte sumus" dichtete.

Die Veranlassung zu diesen Aufzeichnungen gab ein Besuch Kaiser Karls III. (des Dicken) in St. Gallen, im Dezember 883. Noch einmal war fast das ganze Reich Karls des Großen in der Hand seines Urenkels vereinigt, in dem viele den starken Herrscher erhofften, dem es gelänge, das Reich gegen den Ansturm auswärtiger Feinde, vor allem der Normannen, ebenso zu schützen wie gegen die immer stärker werdende Gewalt der Stammesfürsten innen. So spricht auch Notker nur rühmend und hoffend von Karl III. und folgt freudig seinem Auftrag, dies Buch zu verfassen. - Nur wenige Jahre noch, und Karls III. völlige Unfähigkeit hat sich erwiesen: der Reichstag von Tribur setzt ihn 887 ab, und ein Jahr später ist dieser letzte legitime Karolinger tot. Das Großkaisertum weicht den erstarkten herzoglichen Gewalten, bis mit Heinrich I. eine neue deutsche Ordnung beginnt.

Zu einer Zeit also, wo der Niedergang der karolingischen Dynastie nicht mehr aufzuhalten war, entstand dies Buch, das die große Vergangenheit jenes Herrschergeschlechts feiert. Was hier von Karl erzählt wird, ist noch Geschichte, denn den meisten Anekdoten liegen echte Ereignisse zugrunde. Aber doch schon mehr Dichtung als Geschichte; denn Notker trennen von Karl dem Großen zwei Generationen, deren Phantasie sich unablässig mit dem großen Kaiser beschäftigt und sein Bild idealisiert hat, so wie es hier gezeichnet ist. Von seinem Lehrer Werinbert erhielt der Mönch die Nachrichten von Karls Frömmigkeit und Fürsorge für die Kirche, von Werinberts Vater Adalbert Berichte aus seinen Kriegszügen. Einige dieser Erzählungen mag Notker auch von fahrenden Spielleuten gehört haben, so z. B. die Geschichte "Karl vor Pavia", die durchaus spielmännischen Charakter hat; ebenso ist die Freude an der Übertreibung, wie sie die Groteske vom Riesen Eishere zeigt, für diese Herkunft eigentümlich.

Mit solchen Darstellungen füllte Notker die zwei Bücher, die uns erhalten sind; in einem dritten wollte er Karls häusliches Leben schildern. Wir wissen nicht, ob er diesen Plan zu Ende brachte; es ist möglich, daß er, enttäuscht durch Karls III. unrühmliches Ende, sein Werk unvollendet ließ: jedenfalls fehlt, soweit wir das Werk besitzen, das dritte Buch und die Vorrede zum ersten, wahrscheinlich nicht ohne Schuld der Mönche. Denn die Blätter blieben ungebunden und wurden weder in den Katalogen der Klosterbibliothek, noch in den vielen Schriften der gelehrten Mönche von St. Gallen vermerkt.

Erst im zwölften Jahrhundert fanden sich Liebhaber des Buches, die Notkers Arbeit - unvollendet oder verstümmelt - in mehreren Handschriften uns überlieferten. Diese neue Übersetzung versucht eine möglichst treue und doch zwanglose Form, die sich, ohne einem künstlich antiquierten Ton zu verfallen, mit Bedacht der mündlichen Erzählungsweise nähert; denn diese Geschichten wurden erzählt, und zwar in deutscher Sprache, die oft durch das Latein des Mönches durchschimmert. So empfindet man auch den ganzen Wert dieser Erzählungen am besten, wenn man sie frei erzählt oder vorliest. Innerhalb der einzelnen Anekdote wurde weder durch Zusätze noch durch Auslassungen etwas geändert. Nur wenige Sätze und Worte, die, lediglich von historischem Interesse, eine umständlichere Erklärung nötig gemacht hätten, unterblieben, ohne daß sie dem Gesamtbild einen Zug genommen hätten. Dagegen schien es ratsam, in den Anmerkungen auf einige Beziehungen zu Sage und Märchen hinzuweisen und sprachliche Eigentümlichkeiten herauszuheben. Geschichtliche Tatsachen, die sich in einzelnen Anekdoten spiegeln, durch Vergleiche mit anderen Quellen wieder herzustellen, erübrigte sich für diese Ausgabe, die den Charakter der volkstümlichen Überlieferung wahren will als eines Ganzen, in dem geschichtliche Wahrheit und freie Phantasietätigkeit zusammenkommen zu einer idealistischen Form nationalen Gedächtnisses.

 

KARL BRÜGMANN