Ortsrätsel

"Für mich ist jemand. der keine Gedichte liest, eine eher unappetittliche Erscheinung." Also sprach der Literaturkritiker Denis Scheck. Das hat gesessen. Ich lese jetzt in unregelmäßgen Abständen Lyrik, um nicht den Anschein zu geben, ich hätte Mundgeruch, wenn Worte dem Gehege meiner Zähne entweichen.

Ein Haiku Gedicht
Verrätselter langer Satz
Wird knackig und kurz

So muß man sich das vorstellen. Orte mit 17 Silben beschreiben, aber so, daß es schon ein wenig Nachdenkens bedarf. Der Dichter Jamie Konrad hat es sich nicht leicht gemacht, es kommt für ihn selbstveständlich nicht in Frage triviale Rätsellösungen aufzutischen (17 mal Bonn in drei Zeilen zu schreiben macht noch kein Gedicht, obwohl es sich reimt). Nein, sehr subtil mit Doppreldeutigkeiten spielend beschreibt er Orte und Kunstwerke in drei Zeilen. Manchmal auf Deutsch, aber auch auf Englisch, wenn es besser paßt. Wem das Lösen der Rätsel zu mühsam ist, der kann sich im hinteren Teil des Buches einer Ortsbegehung anschließen, wo über die Hintergründe des jeweiligen Haikus referiert wird. Vorausgeschickt wird aber die Warnung "Rätsels Geheimnis | voll erblüht zu reiner Lust | erst selbst entschlüsselt - !" und ich möchte in Chargraffs Prosa hinzufügen "Die Interpretation von Dichtung ist unangebracht, denn wer jene benötigt, hat kein Recht sie zu lesen!"

Der oktavformatierte Gedichtband ist reichlich bebildert, aber keins der Bilder trägt zur Lösung bei, soviel sei schon verraten. Schön sind die Bilder dennoch, ein Gedicht.

Jamie Konrad, Ortsrätsel - Eine wilde Haiku-Reise durch die Welt, 144 Seiten, Verlag Schäfer&Schäfer - Quicumque 2018

Knorpel fec.

am 18.10.2019