... Der leuchtende Hahn krähte mit langgezogener Stimme. Da wollte Pieter aus dem Schoß seiner Mutter und wurde geboren und in Windeln gewickelt in der Schenke "Das gelobte Land".

Ein Storchennest war auf dem Dach, und hoch darüber spannte sich ein Regenbogen,,,

Während die Mutter aufrecht im Bett saß und ihrem Jungen gute Milch reichte aus den großen Brüsten, glänzten Tränen in ihren Augen. Denn drüben auf dem Friedhof sah sie das schwarze Kreuz und den kleinen Erdhügel, unter dem seit einem Monat ihr Mann begraben lag.

Sie war die Witwe eines hageren Bauern, der viel gearbeitet aber wenig gesprochen hatte; - aber bevor er starb sagte er seufzend: "Schade, daß unser einziges Kind erst in unseren späten Jahren kommt, daß ich es nicht mehr sehen werde ... Wenn es ein Junge ist, dann laß ihn Matrose werden ... ich wäre es auch so gerne geworden."

Und nun erwiderte sie ihrem toten Mann, als ob er, sich den Stoppelbart reibend, neben ihrem Bett säße: "Ach Theodor, ich bin fast fünfzig Jahre alt. Bis das Kind seine erste Kommunion hält, liege ich schon längst unter der Erde."

Nebenan, im vorderen Zimmer, geht die Schänke ihren ruhigen Gang, zur Zeit geführt von der Hebamme und Leichenfrau Jo Kratzer, die Anrecht hat auf den ersten Schluck jeder Flasche. Der war stets von langer Dauer, und abends humpelte sie dann mit heißer Nase nach Hause. Nach dem ersten Kirchgang, der mit Honigbrot und Honigbier gefeiert wurde, schenkte die Mutter mit dem Kind im Arm wieder selber ein.

Sie lebte nur für ihr Kind, und manchmal hob sie es hoch wie einen Kelch und sagte: "Ich dachte nicht, daß es so viel Glück gäbe!"

Ein heller Frühling lag über dem Dorf und dem Dommelfluß; es gab unendlich viele Düfte und Farben von Blumen, Mist, Butter und roten Radieschen, und Vogelschwärme flogen hin und her aus den schweigenden Laub= und Tannenwäldern. Von dieser gesunden Luft wurde das Kind durchtränkt, von den Farben und dem Licht, von den Erd- und Biergerüchen, von den Sternen und der Stille, von dem Wind und den langsamen Dämmerungen.

Die Mutter aß das Gemüse, das Brot, das gepökelte Schweinefleisch, die Eier, das Obst und alle Gaben des Landes, und sie goß die Seele des herrlichen Landes Brabant durch ihre Brüste in das Kind. Es hatte große, braune Augen, blickte begierig und erstaunt um sich und griff hastig nach den Farben.

Gegen Ende September, zur Zeit, da die Blumen ihre letzten Kräfte aufbieten und die Gewalt ihrer Düfte sich ins Unendliche steigert, verlangte das Kind schon nach ihnen, streckte die krebsroten Finger danach aus, und wenn es die Blumen gefaßt hatte, betrachtete es sie lange und eifrig, um sie dann plötzlich zu verschlingen.

Das Dorf trat dem Knäblein durch die Augen ins Herz. Mit zweieinhalb Jahren sah ers zum ersten Male, seine Augen öffneten sich, und er nahm es in sich auf.

Es war zur Zeit der birnengelben Abenddämmerung.

Der Rauch stieg kerzengrade über die Strohdächer und die nackten Bäume in die kristallklare Winterluft. Die vereinsamte kleine Kirche mit ihrem schweren heimeligen Turm und einem Nebentürmchen, wie eine Mutter, die ihr Kindchen trägt, schwand almählich wie eine blaue Taube im Abendflaum. Der glatte Dommel trug das reine Spiegelbild des Dorfes. Die Stille der Heide, der Felder und Tannenwälder umgab die Stille der Mühle, der Häuser und Stallungen.

Und in dieser zarten, heiligen Stunde drang dieses einfache Profil, so voll Bruegelscher Farben, mit den Menschen und den Erzählungen in sein Herz, so gewaltig, daß er es nie wieder vergessen sollte.

Er war wie ein Feld, in das die Saat gefallen ist.

Und er fing an zu zeichnen.

Erst zeichnete er Männchen: zwei Kugeln, vier Striche und viele Knöpfe.

(Liebe Leserin und Leser, laßt uns innehalten und das Gelesene erstmal verdauen. Wir sind auf Seite 7. Wenn Du bereit bist, ließ weiter, wenn Du noch kannst)

Mit fünf Jahren zeichnete er die Leute, die in der Schenke ihr Bier tranken. Den Fuhrmann erkannte man an der Peitsche, den Hirten an seinen gelockten Schäfchen, den Imker an den großen Tieren, die um ihn herumflogen.

Das Sehen war ihm ein Genuß. Er sah immer, als sähe er zum ersten Male: erstaunt, glücklich und gierig. Jeder Blick bedeutete eine Entdeckung.

Mit den Augen verschlang er Linien und farben wie jemand, der Wein trinkt.

Sein Herz war wie ein klarer Spiegel. Die Mühlen drehten sich, in seinem Herzen drehten sie sich ebenso; die Wolken wanderten, auch in seinem Herzen wanderten sie; die Jahreszeiten folgten einander, und keine dieser Bewegungen, keine dieser Farben ging ihm verloren.

Er heulte, weil der Regenbogen so schnell verschwand. Wenn Schnee lag, war er still vor Glück. Vor dem Mond fürchtete er sich, aber nicht, wenn er ihn mit einem Auge betrachtete. Bald zeichnete er nach der Natur die Bäume, die Kopfweiden, die Schlüsselblumen, ein Pferd , das vor der Schenke hielt, den Schmied, die Hähne und die komischen Schweine.

Als er sieben Jahre zählte, war das seine liebste Beschäftigung: er zeichnete immerfort. Er war fast wie ein aufgezogenes Uhrwerk. Aber nun zeichnete er nicht nur, was er sah oder was er gesehen hatte, sondern auch Gebilde seiner Phantasie und Erzählungen von Engeln und Heiligen, schöne Schiffe, Genoveva von Brabant und die Passion Unseres Herrn.

Zeichnend wuchs er heran, verlor die Milchzähne, und seine Mutter klagte über die vielen Männchen und Madonnen, mit denen Wände und Türen überall bekritzelt waren.

Aber sie hatte nur den einen Jungen und war ganz vernarrt in ihn. Aus der Stadt brachte sie ihm Kreide und Papier mit, sie hätte sich die Haut vom Leib geschnitten, um ihn darauf zeichnen zu lassen.

Wenn ihn das Zeichnen gepackt hatte, war er nicht zu halten; es war stärker als sein Wille, und sein Blut pochte wie im Fieber.

Es war, als zeichnete ein anderer in ihm.

Er war furchtbar neugierig, und als er neun Jahre alt war, merkte man schon deutlcih, daß er eine Spitznase bekommen würde. Die steckte er in alles hinein, und wenn er sie zurückzog, hing eine Zeichnung daran.

Die Mutter verschob das Matrosen-Werden ihres Sohnes immer wieder: sie hatte große Angst vor Stürmen und Walfischen.

Inzwischen war er Chorknabe geworden. Am liebsten hätte sie gesehen, daß er ins Kloster ginge. Der Dorfpfarrer Jerom, ein Franziskaner und Riese von Gestalt, liebte ihn sehr und lehrte ihn lesen und schreiben. Dafür half ihm der Junge beim Holzhacken, Bohnenpflanzen, Honigschleudern, Weinabziehen und Schweineschlachten, ja beim Brotbacklen und Bierbrauen, denn der Pfarrer machte alles selbst. Zu Hause zeichnete Pieter alles nach, auch alles, was sich in der Kirche befand, und die Prozession, in der er selber mitging. Und eine Kirmes! Das ganze Papier von Brabant reichte nicht dazu aus! Die Volksbelustigungen, das Drachenspiel, die Dudelsackbläser, die Kramläden mit Spielzeug, Pfannkuchen und Rosenkränzen, die Tänzer, die Saufbrüder, die Kegler, die Raufbolde: ein ganzer Almanach voll!

..... wird fortgesetzt. Solange mir niemand das Buch abnimmt, werde ich die Welt mit diesem Text belästigen. Weiter mit Pieter Bruegel.

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