Aus Furcht vor einem drohenden Einmarsch der Holländer werden im Sommer 1667 vier dicke, in Leder gebundene Kladden zusammen mit einem Haufen Geld und Wertgegenständen irgendwo in der ländlichen Umgebung Londons in einem Garten vergraben. Das Geld und die Wertgegenstände sind die im Laufe eines halben Jahrzehnts angehäuften Reichtümer des außerordentlich erfolgreich in der Beamtenlaufbahn aufgestiegenen Londoner Bürgers Samuel Pepys. Die Kladden enthalten dessen geheime Tagebücher, die diesen Aufstieg wunderbar bildhaft dokumentieren.

Vom Habenichts zur wohl situierten Stütze der Gesellschaft – es sind die Zeiten nach dem Abtreten Oliver Cromwells, die diese Karriere ermöglichen. Als der König aus dem Exil zurückkehrt, schwimmt Pepys im Kielwasser der richtigen Protagonisten, weiß sich aber rechtzeitig zu distanzieren, als diese durch allzu offensichtliche Korruption in Ungnade fallen. Beredt, umfassend gebildet und wissbegierig, nicht immer ganz sauber in der Wahl seiner Mittel, aber nie unvorsichtig und natürlich immer bereit, sein Fähnchen nach dem Wind zu drehen, ist sein Aufstieg im Flottenamt der aufgehenden Seemacht England unaufhaltsam.

Auf diesem Weg begleitet er sich selbst in seinen Tagebüchern. Er schreibt sie nur für sich selbst, ohne irgendein Publikum zu adressieren; er verschlüsselt sie sogar. So entsteht ein sehr persönliches, farbiges Porträt der damaligen Zeit und eines recht typischen in ihr lebenden Individuums. Und vieles darin wirkt verblüffend zeitlos: Der Stolz über das neue Haus und die geschmackvolle Einrichtung. Die zufriedene Beobachtung des wachsenden Vermögens beim jährlichen Kassensturz. Echte und eingebildete Krankheiten. Freude und Frust über mehr oder weniger gelungene Theatervorstellungen. Die Liebe zur Musik und zur Wissenschaft. Die Furcht vor Entdeckung bei kleineren Bestechlichkeiten. Die Seitensprünge. Die Gewissensbisse. Der Zwist mit der Ehefrau.

Mein Fazit: Sehr erbaulich zu lesen. Allerdings finde ich die von den Herausgebern getroffene Auswahl der Tagebucheinträge nicht immer glücklich. Sie erscheinen oft aus dem Zusammenhang gerissen; es fehlt die große Linie. Die Erläuterungen im Anhang können dieses Problem nur lindern, aber nicht beheben. Trotzdem alles in allem eine empfehlenswerte Lektüre.

Apocolocyntosites aka Kürbis

Samuel Pepys: „Die geheimen Tagebücher“ Herausgegeben von Volker Kriegel und Roger Willemsen. Eichborn AG, Frankfurt am Main 2004

Übrigens: Wer sich nach genüsslichem Schmunzeln über Pepys’ Seitensprungaktivitäten die Frage stellt, wie es wohl mit diesen offenbar weit verbreiteten Eskapaden im damaligen England weitergegangen ist, der wird an dem folgenden Buch seine Freude haben: Bernard Mandeville: „Eine bescheidene Streitschrift für öffentliche Freudenhäuser oder ein Versuch über die Hurerei, wie sie jetzt im Vereinigten Königreich praktiziert wird“, London 1724 Carl Hanser Verlag, München, Wien 2001